Bacha Posh – Jungen, die Mädchen sind

Jungen, die Mädchen sind

– Oberurselerin erzählt die Geschichte der „falschen Söhne“ Afghanistans.

In Afghanistan werden Mädchen als Jungs verkleidet, damit sie in den Betrieben ihrer Väter arbeiten können. In bewegenden Bildern erzählt der Film „Tohebas Geheimnis“ von diesem harten Doppelleben.

Von Sophia Bernhardt.

Mühsam, aber dennoch wie selbstverständlich wuchtet Toheba Reifen. Dass sie ein Mädchen ist, sieht man ihr auf den ersten Blick nicht an. Ihre Haare sind kurz geschnitten und sie steckt in Jungenkleidung. Nur ihre rot lackierten Fingernägel verraten sie als „Bacha posh“ (falsche Söhne) – als Mädchen, das in der Werkstatt seines Vaters wie ein Junge schuftet und auch so gekleidet ist.
Über das Schicksal der „Bacha posh“ drehte die Oberurselerin Katrin Eigendorf, ZDF-Fernsehreporterin sowie Mitglied der Flüchtlingsfamilienhilfe des Oberurseler Vereins Windrose, mit Co-Autorin Shikiba Babori den Film „Tohebas Geheimnis. Afghanistans verratene Töchter“. Er wird am 8. März auf Arte ausgestrahlt.
Vorab zu sehen war er am Donnerstagabend im „café Portstrasse“. Zur Erstaufführung des Dokumentarfilms hatten die Windrose und die Flüchtlingsfamilienhilfe eingeladen. Der Andrang war groß.
Der Film zeigt den Alltag der Schwestern Toheba und Rozwona, die nach der Schule zu „Bacha posh“ werden, um in der Autowerkstatt ihres Vaters zu arbeiten und so zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Es ist schwere, körperliche Arbeit, die sie zu verrichten haben. Die arme Familie, die von einem Tageslohn von rund 25 Euro lebt, hat neun Kinder – allesamt Mädchen. Woher der Brauch stammt, dass Mädchen als Jungen verkleidet werden, wenn die Familie keine Söhne habe, sei nicht bekannt, sagte Katrin Eigendorf bei der Premiere. Damit versuchten die Familien der „Schande“ zu entgehen, keine Söhne zu haben. Die „falschen Söhne“ schuften als vollwertige Arbeitskraft in den Betrieben ihrer Väter.
Anders als ihre Schwestern, die nach der Schule zu Hause sind, fängt für die „Bacha posh“ dann die Arbeit an. In den Familien übernehmen sie befristet die Rolle der nicht geborenen Söhne, oft schon im Vorschulalter. Seit Generationen ist das so. Wenn sie in die Pubertät kommen, dürfen und müssen sie jedoch wieder ganz Mädchen sein.
Bei Toheba, die in der Autowerkstatt zu Shafi wird und Rozwona, die dann Mohamed heißt, ist das in wenigen Monaten der Fall. Toheba scheint die Rückkehr in die Mädchenrolle nicht schwer zu fallen. Sie freut sich sogar darauf. „Die 14-Jährige empfindet es als peinlich, auf der Straße zu sein, weil sie eindeutig eine Frau ist“, beantwortete Eigendorf eine Frage aus dem Publikum.
Im Film sagt Toheba, dass sie gerne zu Hause bleiben und Dinge im Haushalt übernehmen wird. Für ihre Schwester Rozwona dürfte das anders werden. Sie ist am liebsten auf der Straße. Drachenspielen wird sie dann nicht mehr dürfen.
Innerhalb von zwei Wochen haben Eigendorf und Babori den Film in der Provinz Balkh gedreht. Es habe jedoch lange gedauert, bis sie das Vertrauen der Familie gewonnen hatten und über deren Geheimnis berichten durften. „Der Kameramann durfte nicht im Innenhof der Familie drehen“, berichtete Eigendorf. Das hat sie dann übernommen.
Es sind gerade die Brüche und Übergänge zwischen den zwei Welten – in der Schule und zu Hause, wo sie Mädchen sind und in der Werkstatt, wo sie zu Jungen werden – die dem Betrachter in bewegenden Nahaufnahmen vermittelt werden. Die Kontraste beider Lebenswelten – die schwere, körperliche Arbeit und der Moment, an dem sie nach Hause kommen und wieder Mädchenkleider tragen und Mädchenspiele spielen, gehen unter die Haut. Die „Bacha posh“ sind übrigens angesehener als ihre ältere Schwester, die den Haushalt führt.
Welche Konsequenzen die Kinderarbeit für die Entwicklung dieser Mädchen hat, ist offen. Für die Familienministerin der Provinz Balkh waren die Jahre als „Bacha posh“ prägende Jahre. „Sie haben meinen Mut gestärkt“, sagt die Familienministerin im Film. Nadia Qani, Besucherin der Filmvorführung, die 1980 aus Afghanistan nach Deutschland flüchtete, ist sich sicher: „Beide Mädchen werden ein anderes Leben führen, da sie inmitten der Gesellschaft groß geworden sind.“

Taunuszeitung vom 2. März 2013
http://www.fnp.de/tz/region/lokales/hochtaunus/jungen-die-m-dchen-sind_rmn01.c.10496243.de.html

Die Angst vor dem Abzug der Truppen

„Einem Afghanen muss es sehr, sehr schlecht gehen, bevor er es auf sich nimmt, sein Land zu verlassen. Das ist sehr mühsam und ein unsicherer Weg. Den Flüchtlingen es hier in Deutschland so schwer wie möglich zu machen, wie das einige Politiker wollten, verhindere keinen einzigen Flüchtling, ist Katrin Eigendorf, ZDF-Fernsehreporterin und Co-Autorin des Dokumentarfilm „Tohebas Geheimnis“, überzeugt. „Es ist nicht die schöne Situation in Deutschland, die die Flüchtlinge hierher kommen lässt, sondern die schreckliche Situation, der sie in ihrer Heimat ausgesetzt sind“, betonte sie am Donnerstag bei der Filmpremiere im „café portstrasse“.
Die Spenden des Abends gehen an die Flüchtlingsfamilienhilfe des Vereins Windrose. Mit Harald Schuster haben sie einen Sozialarbeiter, der rund 20 Familien betreut. Zu ihnen gehören auch Flüchtlinge aus Afghanistan.
In Afghanistan wächst eine neue Mädchengeneration heran. „Sie gehen zur Schule, sind intelligent und gebildet“, sagte Eigendorf. Die Angst vor dem Abzug der internationalen Kampftruppen 2014 ist groß, weiß Eigendorf. Und das sagt auch der Vater der Familie, deren Leben im Film gezeigt wird. Er habe Angst, dass die Polizei sich dann nehme, was sie wolle und dafür nur bezahle, wenn sie wolle. Die Angst vor einem Zustand der Rechtlosigkeit teilt er mit der Mehrheit der Afghanen.
„Der Trend zur Verschleierung steigt. Es sind nie mehr Burkas verkauft worden als jetzt“, berichtete Eigendorf. Die Frauen wollten sich so schützen. „Die Probleme für Frauen, die modern sein wollen, steigen.“ (sob)

Taunuszeitung vom 2. März 2013
http://www.fnp.de/tz/region/hessen/die-angst-vor-dem-abzug-der-truppen_rmn01.c.10496241.de.html

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